die frage tragen
Wenn man sich in einer Stadt, wie z.B. München, die Menschen auf der Straße betrachtet, könnte man schnell den Eindruck kriegen, dass jeder weiß, was er will. Wenn man den Kollegen in der Firma in der Pause zuhört, dann sprechen die auch eher davon, was sie gemacht haben oder planen zu tun, und sie wirken dabei überzeugt, entschieden. Wenn man selbst keine Antwort hat auf ein aktuelles persönliches Thema, spricht man mit Freunden, Eltern, Beratern, Coaches, etc. und alle vermitteln wiederum den Eindruck, dass sie „Bescheid“ wissen, nur man selbst nicht. Das löst ganz schnell eine ganze Kettenreaktion von Gedanken aus, mit denen man sich selbst komplett in Frage stellen kann und die letztendlich das Potenzial der Frage und das eigene ungenutzt lassen.
Allzu leicht übersehen wir, dass es in unserer Gesellschaft nur einfach nicht „schick“ ist, eine Frage zu haben. Es ist immer noch viel anerkannter, klar zu sein, Bescheid zu wissen, entschieden zu sein. Und dieses Paradigma umgibt uns auch bei den Fällen, in denen es authentischer, angemessener und sogar hilfreicher ist, eine Frage zu haben statt eine Antwort.
Wir unterschätzen den Effekt, mit einer Frage „schwanger zu gehen“ und setzen es fälschlicher Weise gleich mit Inkompetenz oder Hilflosigkeit. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist eine hohe Kompetenz, den ungelösten Zustand zum Wohl der wahren Lösung auszuhalten und nicht in ein Pseudo-Lösungsmuster (Kraft, Pragmatik, Einfachheit, etc.) auszuweichen. In dieser Phase der ungelösten Fragestellung passiert viel in uns: Wir richten unsere Aufmerksamkeit aus, wir verdichten die Frage zum ihrem wahren Kern, wir setzen neue und andere Erfahrungen und Begegnungen in Bezug zu der Frage, etc. Dies ist ein überaus wertvoller Prozess.
Erlauben Sie sich, eine Frage ohne Antwort zu haben?
Welche Ihrer Fragen verdient, dass Sie ein bisschen „mit ihr schwanger gehen“?